Stellungnahme zur Zwangsheirat und Ehrenmorde
Stellungnahme der SCHURA - Islamische Religionsgemeinschaft Bremen zum Thema: „Zwangsverheiratung und Ehrenmord“
In einer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft sind die Menschenrechte ein Garant für die individuelle Freiheit und bilden politisch-rechtliche Grundnormen des Zusammenlebens. Daher ist es unbestritten, dass die Praxis der Zwangsverheiratung ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und das Selbstbestimmungsrecht betroffener Personen ist und deshalb eine schwere Form der Menschenrechtsverletzung darstellt.
Auch die Schura Bremen begreift Zwangsverheiratungen als Verletzungen der Menschenrechte und der Menschenwürde, die weder durch religiöse noch durch kulturelle bzw. ethnische Besonderheiten und Traditionen relativiert und gerechtfertigt werden dürfen.
Abgesehen davon dass „Zwangsverheiratungen“ und „Ehrenmorde“ gegen das Rechtsempfinden der Muslime und ihrer Gemeinschaften verstoßen, muss festgestellt werden, daß beide Institutionen nicht aus dem Islam entstanden, oder gar aus der Lehre des Islam legitimiert werden können.
Die Ehre einer islamischen Familie ist ihre Zugehörigkeit zum Islam und ihr Bekenntnis zum Qur'an und der verbindlichen Sunna des Propheten. Der Qur'an verbietet, daß eine Frau gegen ihren Willen verheiratet wird. Der Propheten (Friede sei mit ihm) hat schon zu Lebzeiten Zwangsehen für null und nichtig erklärt.
Was den „Ehrenmord“ angeht, so bleibt festzuhalten, daß es sich nach islamischem Verständnis um Mord handelt. Denn es steht im Qur'an: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit getötet und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so ist es, als habe er der ganzen Menschheit das Leben erhalten.“
Mord ist nach islamischem Verständnis nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch ein Verbrechen gegen Gott. Daher muss ein gläubiger Muslim beide Institutionen ablehnen und bekämpfen.
Der Islam und auch die Schura Bremen verstehen den Begriff der Ehre im Sinne der Menschenwürde, die unantastbar und unteilbar ist. Wir lehnen daher bestimmte patriarchalisch geprägte Ehrvorstellungen ab, die einseitig zu Lasten der Frau aufrechterhalten werden sollen. Was im patriarchalischen Sinne als Ehre und Schande gilt, ist nicht aus dem Koran ableitbar, sondern vielmehr von bestimmten Traditionen und soziokulturellen Wertvorstellungen bestimmt. Diese Auffassungen von Ehre und Schande entsprechen eher einem archaischen Ehren- und Stammeskodex, der mit einer entsprechenden Macho-Kultur versehen bis in die Gegenwart aus Eigeninteresse in den Islam hineinprojiziert wurde.
Es soll hier keinesfalls bestritten werden, dass es islamisch geprägte Familien gibt, die ihre Töchter und Söhne zwangsweise verheiraten und vor dem Hintergrund eines archaischen Ehrbegriffs Verbrechen begehen, sondern vielmehr unmissverständlich und deutlich klargestellt werden, daß der Islam weder Zwangsverheiratung noch Mord oder Selbstjustiz legitimiert. Beides ist aus islamischer Perspektive ein Verbrechen und muss entschieden bekämpft werden.
Zweifelsohne muss der Herrschaftswahn über die Frau, wie die Ehrenmorde und die Praxis der Zwangsheirat bei Menschen aus islamisch geprägten Ländern einerseits und die „Eifersuchtsmorde“ und „Familiendramen“ deutscher Männer andererseits, entschieden Widerstand geleistet werden. Es bedarf hierzu nicht nur der Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen, sondern auch einer entschiedenen gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die diese Untaten als Menschrechtsverletzung brandmarken.
Konkrete Hilfen für betroffene Frauen könnten darin bestehen, Netzwerke und Unterstützungssysteme zu schaffen. Diese sind allerdings dann zum Scheitern verurteilt, wenn die inhumane Zwangsheirat gleichzeitig mit einer Stigmatisierung, Herabsetzung und Diffamierung der Religion dieser Menschen bekämpft wird.
Eine eurozentristisch-westliche Blickreduzierung konstruiert eine Unvereinbarkeit islamischer Werte mit den universellen Menschenrechten, was bei den Migranten mit muslimischem bzw. türkischem Hintergrund das Gefühl der Diskriminierung und Ausgrenzung bestärkt und seinerseits wieder Selbstethnisierungsprozesse beschleunigt und die Entstehung von Parallelgesellschaften fördert.
Bei der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen ist eine Kooperation mit Verbänden und Institutionen der MigrantInnen unverzichtbar. Beispielweise können muslimische Verbände und Institutionen hier eine Brückenfunktion übernehmen, indem sie geschulte Personen in die Familien schicken. Weiterhin könnten diese Polizei, Beratungsstellen und dem Sozialamt in Krisensituationen als Partner in der Beratung zur Seite stehen.
Folgende Maßnahmen erscheinen hier Erfolg versprechend:
- Notwendig ist eine Informations-, Beratungs- und Aufklärungsarbeit (über die Rechte bezüglich einer freien Partnerwahl sowie über die Möglichkeiten im Falle einer Zwangsverheiratung oder häuslicher Gewalt) durch entsprechend ausgebildete, interkulturell geschulte BeraterInnen in öffentlichen Einrichtungen.
- Maßnahmen zur Mädchen- und Frauenförderung sollten deren religiöse Grundhaltung anerkennen. Staatlich geförderte kultur- und religionssensible Beratungs- und Hilfseinrichtungen mit und für muslimische Frauen müssen ein besonders geeignetes Angebot darstellen, um sowohl den Eltern als auch dem Opfer die Möglichkeit zu geben, innerhalb der eigenen Verwandtschaft das „Gesicht“ zu wahren.
- Die notwendige Unabhängigkeit der Frauen von ihren Vätern und Ehemännern ist stark von den eigenen finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen abhängig. Insofern ist der ungehinderte Zugang zum Arbeitsmarkt unabdingbar.
- Beratungsangebote und Lösungsansätze sollten berücksichtigen, dass auch Männer zwangsverheiratet werden.
- Innerhalb der muslimischen Community sollte man dem möglichen Missbrauch der Religion mehr Beachtung schenken und Aufklärungsarbeit dagegen leisten. Denkbar wären hier aus der Perspektive der Islamischen Verbände z.B. eine Fatwa gegen häusliche Gewalt und Zwangsverheiratungen und verschiedene Projekte, die sich gegen Gewalt richten.
- Das Thema Zwangsheirat und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen könnten Gegenstand der Freitagspredigt sein. (Wie bereits im letzten Jahr in den Schura-Mitgliedsmoscheen geschehen.)
- Fort- und Weiterbildungen für Imame, die sie mit dem deutschen Familienrecht vertraut machen.
- Den Integrationsprozess von Migrantenfamilien gilt es voranzutreiben und zu vertiefen, indem beispielsweise strukturelle Diskriminierungen aufgedeckt und bekämpft werden. Es ist eine Integrationspolitik notwendig, die MigrantInnen angemessen fördert und fordert.
- Die potenziellen und strukturellen Benachteiligungen von Frauen und Männern mit Migrationshintergrund im Bereich Schule, Ausbildung und berufliche Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt sind entschieden zu bekämpfen.
Die Schura Bremen plant vor diesem Hintergrund aktiv zu werden. Sie stand und steht weiterhin Fragen und mögliche Aktivitäten zur Verfügung.
Mehmet Kılınç
(Vorsitzender)
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