Protokoll über das Gespräch zwischen der Jüdischen Gemeinde Bremen und der Schura Bremen
Ort: Jüdisches Gemeindezentrum
Datum: 05.04.2009
Teilnehmer:
- Frau Noa,
- Frau Bas,
- Herr Pantijelew
- Herr Kilinc,
- Frau Hamamci,
- Herr Baser,
- Herr Eren,
- Herr Salihu,
- Herr Samar,
- Herr Saleh
- Herr Scherf
Das Gespräch soll dazu dienen, gegenseitig Missverständnis und Irritationen zu beseitigen. In der Jüdischen Gemeinde sind sie aufgrund der Beteiligung der Schura an der so genannten Leichenaktion gegen den Gaza-Krieg entstanden. In der Schura wurde ein Interview der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde mit dem „Weser Kurier“ so verstanden, als wäre darin der Schura Antisemitismus vorgeworfen worden.
Weiterhin ging es um die Gestaltung der weiteren Beziehungen und die Fortsetzung des interreligiösen Dialogs.
Frau Noa als Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde begrüßte zu Beginn die Anwesenden und dankte für ihr Erscheinen auf die Einladung des Präsidiums der Jüdischen Gemeinde hin. Anschließend stellten sich die Teilnehmer vor.
Es wurde vereinbart, dass Herr Eren (Schura) das Protokoll führt und dass das Protokoll nach Bestätigung und eventuelle Korrekturen durch die Jüdische Gemeinde zum gemeinsamen Protokoll wird.
Frau Noa betonte zu Anfang, dass sie es bedauert, dass der Runde Tisch mit Juden, Christen und Muslimen, der auch auf Initiative der Jüdischen Gemeinde gegründet wurde, seine Arbeit eingestellt hat. Er war nach dem 11. September gut gemeint als „Kriseninterventionsgipfel“ eingerichtet worden, hat aber letztlich versagt, wie man an den Konflikten um den Gaza-Krieg erkennen kann. Die interreligiösen Begegnungen, z. B. Einladung zum Iftar, gemeinsame Veranstaltungen und andere Dialogveranstaltungen seien durch das Auftreten der Schura im Rahmen der Protestaktionen gegen den Gaza-Konflikt in Gefahr geraten. Für die Anfang Januar durchgeführte Demonstration habe die Jüdische Gemeinde Verständnis gezeigt und dagegen nichts geäußert, auch wenn in den Reden und Losungen antiisraelische und antisemitische Inhalte präsent waren. Als Ausdruck der Trauer und des Zorns seien sie von der Gemeinde zur Kenntnis genommen worden. Bei dieser Demonstration war eine israelische Fahne verbrannt worden. Das Präsidium der Jüdischen Gemeinde habe daraufhin versucht, durch ein Gespräch mit dem Vorstand der Schura unter Vermittlung des Rathauses der Schura ihre Ängste und Befürchtungen mitzuteilen, und habe gebeten, die als nächstes geplante Protestaktion „600 Leichen“ abzusagen, weil sie ihrer Meinung nach unangemessen ist und die Situation nur einseitig darstellt.
Die jüdische Gemeinde hätte gewünscht, vor den Protestaktionen in einem klärenden Gespräch beiderseitig Positionen darzulegen und die Meinungsverschiedenheiten ohne die Einbeziehung der Öffentlichkeit zu lösen. Frau Noa erklärte weiter, daß die Protestaktion „600 Leichen“ für die Jüdische Gemeinde unverständlich und sehr verletzend gewesen sei.
S. Hamamci und M. Kilinc erklärten, dass die Schura von vielen Mitgliedern der Moscheen und Gemeinden, die durch die Satellitenübertragung der arabischen Sendern quasi live den Kriegsverlauf und die grausamen Bilder mitverfolgen konnten, aufgerufen worden sei, Protestaktionen zu organisieren um für die Beendigung des Gaza-Konflikts zu demonstrieren und ihre Solidarität mit den Opfern kundzutun. Die Betroffenheit der Menschen sei sehr groß gewesen und die Atmosphäre so sehr emotional aufgeheizt, das die Schura erkannt habe, dass sie deeskalierend eingreifen musste, bevor der Protest eine Eigendynamik entwickelt und unkontrolliert ausbricht und von anderen instrumentalisiert werden könne. Doch bevor die Schura aktiv werden konnte, hatte schon die Libanesische Gemeinde eine Demonstration angemeldet und die Muslime aufgerufen, sich diesem Protest anzuschließen.
Die Libanesische Gemeinde hatte bereits im Jahr 2006 eine Demonstration durchgeführt, bei der, nach Angaben der Polizei, antiisraelische Parolen gerufen und auch israelische Fahnen verbrannt worden sind. Um eine Wiederholung dieser Ereignisse und Ausschreitungen zu verhindern, habe die Schura der Libanesischen Gemeinde angeboten, sich an der Organisation und Durchführung dieser geplanten Protestaktion zu beteiligen. So sei es dann auch geschehen. Erst durch die Beteiligung der Schura sei sichergestellt worden, dass der Protest zivilisiert und friedlich verlief. Das Verbrennen einer israelischen Fahne, wie später behauptet, könne weder durch die Organisatoren, noch die Polizei bestätigt werden. Das im Internet aufgetauchte Video, könnte weder zeitlich noch örtlich eindeutig zugeordnet werden und habe sich, wenn geschehen, außerhalb des Wissens und des Einflussbereiches der Organisatoren abgespielt.
Die Polizei habe in einer noch am selben Tag veröffentlichten Pressemitteilung den außerordentlich geordneten und friedlichen Verlauf der Demo erklärt.
Der Vorstand der Schura habe einen Dank der Jüdischen Gemeinde für diesen Einsatz erwartet und sei daher umso erstaunter gewesen, als er von dem Protest der Jüdischen Gemeinde gegen die Protestaktion „600 Leichen“ erfuhr, und von den Vorwürfen der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde gegen die Schura und den Vorsitzenden der Schura Mehmet Kilinc, die Aktion und ihn persönlich in die „Nähe des Antisemitismus“ rückten.
Der Versuch der Jüdischen Gemeinde, die Protestaktion „600 Leichen“ zu verhindern, oder die Behauptung, bei den im Flyer verwendeten Bildern bewusst manipulativ gearbeitet zu haben, sowie der offene Brief mit Vorwürfen gegen die Schura hat auch den Schura-Vorstand zutiefst getroffen, da wir wie gesagt mit unserer Beteiligung an den Protestaktionen die genau entgegengesetzte Absicht verfolgt haben.
Herr Pantijelew erklärte daraufhin, daß die Jüdische Gemeinde ihre Informationen über den Verlauf der Demonstration und der Protestaktion nicht nur aus einer Quelle beziehen würde und er in dieser Angelegenheit anderer Meinung sei. Ein ausführliches Eingehen auf den Konflikt im Nahen Osten, auf Unterschiede zwischen der Demonstration und der Protestaktion, auf Argumente des Offenen Briefes würde hier und jetzt aber nicht weiterbringen und nur zu einer Verschärfung im Ton beim Austausch der Positionen führen. Stattdessen wollen wir aufeinander zugehen und uns um Verständigung untereinander bemühen. Das sei der Sinn unseres Treffens. Er rege an, ein „Rotes Telefon“ einzurichten, um in Zukunft bei solchen Aktionen vorher miteinander zu sprechen, um Missverständnisse zu vermeiden, um die Intentionen des anderen zu erfahren und um den Dialog nicht zu gefährden.
Frau Noa hat sodann mitgeteilt, daß ihr die Hintergründe und Absichten der Schura nicht bekannt gewesen seien, das habe sie heute zum ersten Mal gehört. Die Protestaktion selbst sei dadurch in ihrer Art und Präsentation in ihren und der Gemeindemitglieder Augen keineswegs mehr gerechtfertigt oder verständlich, keineswegs weniger verletzend geworden. Dass aber die Schura dafür habe sorgen können, Schlimmeres zu verhindern und den friedlichen Verlauf zu fördern, schätze sie hoch ein. Sie bedankte sich für den regulierenden und deeskalierenden Einsatz der Schura und ihres Vorsitzenden. Sie betonte nochmals, dass die Gespräche während des Konflikts durch die Schura abgebrochen worden seien und es besser gewesen wäre, hier im Sinne des „Kriseninterventionsgipfels“ vor geplanten Aktionen sich zu verständigen, die Gespräche fortzusetzen.
Herr Z. Sammar wandte ein, daß bei diesem Konflikt, der von der israelischen Regierung ausgegangen ist, nicht die Schura als islamischer Dachverband, sondern die Jüdische Gemeinde das Gespräch mit der Schura hätte suchen müssen, um über ein gemeinsames Vorgehen zu beraten. Damit hätte sie ein deutliches Zeichen setzen können, daß es ihr nicht um Rechtfertigungspolitik, egal für welche Seite geht, sondern um das friedliche Zusammenleben der Menschen und der Begegnung hier vor Ort geht. Wir dürfen in diesem Konflikt nicht Partei beziehen.
Herr Henning Scherf zieht eine positive Resonanz des Gespräches und resümiert,
dass die Beteiligten sich nun über die eigentlichen Intentionen ihres Handelns ausgetauscht haben,
dass Frau Noa sich für den regulierenden und deeskalierenden Einsatz der Schura und ihres Vorsitzenden bedankt hat,
die Einrichtung eines „Roten Telefons“ zwar eine gute Idee sei, die aber nur funktioniere, wenn auch jemand anruft.
Mehmet Kilinc stellte fest, dass die politischen Parteien in Bremen durch ihr Schweigen und in manchen Fällen auch durch Parteiname auf Seiten der israelischen Regierung Unverständnis bei den Muslimen erregt und kläglich versagt haben. Diese Einschätzung sollte den Parteien mitgeteilt werden.
Henning Scherf wies noch mal darauf hin, dass wir alle stolz sein können, dass wir in Bremen zusammen mit der Jüdischen Gemeinde und vielen Moscheen und Muslimen in einer friedlichen Zivilgesellschaft leben. Man dürfe die Schuld nicht auf die Politik schieben, sondern sollte vieles selbst in die Hand nehmen und miteinander den Dialog suchen.
Weiterhin sagte er, dass man die Menschen nicht in Gruppen teilen und den Kindern so weitergeben dürfe. Daher sei es wichtig, unsere Gemeinsamkeiten hervorzuheben und uns als Geschwister zu sehen. Kommunikation über die Presse sei nur schädlich.
M. Kilinc betonte die Bedeutung von Absprachen und des gemeinsamen Gesprächs. Denn man sähe an dieser Situation deutlich, dass auch eigentlich „selbstverständliche“ Dinge eben nicht immer selbstverständlich sind, sondern auch offensichtliche Dinge verschieden gedeutet werden können.
Auf den Wunsch von Frau Noa den „Runden Tisch“ wieder aufleben zu lassen, sagte Herr Kilinc, daß die Schura sich daraus zurückgezogen habe, weil diese Runde letztlich zu einem Debattierclub geworden sei, bei dem zumindest die nichtmuslimischen Teilnehmer keine Entscheidungsbefugnis hatten und damit letztendlich auch der Sinn und Zweck dieses Kreises nicht mehr zu erkennen war. Es wurde angeboten, dass die Teilnehmer des „Runden Tischs“ sich durch ihre entsendenden Organisationen legitimieren lassen oder aber einen neuen Kreis mit entscheidungsbefugten Vertretern der Organisationen zu gründen, an dem die Schura dann wieder teilnehmen würde.
Bezüglich des angeregten „Roten Telefons“, erklärte Herr Kilinc weiter, dass wir, aufgrund der sehr guten Beziehungen der Vorsitzenden beider Institutionen davon ausgegangen seien, dass dieses „Rote Telefon“ schon bestehe. Es wäre Frau Noa ein leichtes gewesen, Herrn Kilinc auch privat oder über sein Mobiltelefon zu erreichen.
Das habe Herr Kilinc auch sofort getan, als er das Interview mit Frau Noa im Weser Kurier gelesen hat, um die Vorwürfe gegen ihn und die Schura richtig zu stellen. Bei diesem Gespräch hatte er vorgeschlagen, ihr eine Presseerklärung zu ihren Vorwürfen vor Veröffentlichung zuzusenden, was er dann auch gemacht habe.
Zu der Presseerklärung sagte Herr Pantijelew: Wir wollten eine gemeinsame Presseerklärung abgeben, aber unsere Meinung wurde in der Presseerklärung nicht berücksichtigt. Es hieß zwar gemeinsame Presseerklärung, war aber nur die Meinung der Schura. Das sollten wir für die Zukunft ändern.
Danach schlug Frau Noa vor, einen Schlussstrich unter alle vorherigen Konflikten zu ziehen und einen Neuanfang in den Beziehungen zu machen.
Herr Scherf sprach dann noch den Kirchentag in Bremen an. Er erklärte, daß die die bundesweiten islamischen Organisationen, wie der Islamrat und der Zentralrat der Muslime am Kirchentag teilnehmen würden, die Schura Bremen aber die Teilnahme verweigere und sich damit abgrenzen würde.
Daraufhin erklärte Herr Kilinc unter Verweis auf die diesbezügliche Presseerklärung der Schura, in der die Verweigerungsgründe ausführlich dargestellt würden, und bat Herrn Scherf, diese noch mal nachzulesen. Mit diesem Boykott wollte die Schura gegen die Handreichung der EKD protestieren, in dem der Dialog mit Muslimen unmissverständlich abgesprochen wird. Die Muslime und insbesondere der Islam werden darin massiv angegriffen. Es gehe darum, die Muslime zu missionieren und nicht um den Dialog auf Augenhöhe. Daher nehmen wir nicht am Kirchentag teil, aber entmündigen nicht die Dialogarbeit. Bei vielen Veranstaltungen reiche unser Personal mit nur Ehrenamtlichen nicht aus.
Frau Noa erklärte: Wir sind am Dialog sehr interessiert und führen den christlich-jüdischen Dialog schon seit vielen Jahren erfolgreich durch. Die Jüdische Gemeinde unterstützt die Muslime gerne bei der Dialogarbeit. Die Dialogarbeit von christlichen Dialogpartnern ist heute weitestgehend frei von Missionierungsansprüchen, jedoch immer noch an manchen Orten auf die Missionierung ausgerichtet. Das empfinden auch wir als demütigend.
Herr Pantijelew: Wir sind in einem guten Dialog mit Christen, aber wenn es Anforderungen gibt, die nicht erfüllbar sind, dann sollte man auch ruhig Nein sagen. Als Beispiel führt Herr Pantijelew den vehementen Wunsch der Organisatoren des Kirchentags eine Diskussionsrunde zum Bibelgespräch an einem frühen Samstag durchzuführen, an dem die Juden den Sabbat feiern, an! In diesem Sinne kann er Herrn Kilinc gut verstehen.
Herr Kilinc sagte: Da Muslime und Juden mit ähnlichen Problemen konfrontiert werden, sollten insbesondere wir uns gegenseitig respektieren und am zueinander halten. Ich glaube sowieso, daß wenn etwas Schreckliches wie ein Anschlag in Deutschland passieren würde, die Jüdischen Gemeinden die einzigen wären, die ihre Solidarität mit den Muslimen zeigen würden. Ich traue keinem der Politiker, auch denen nicht, die angeben, „gute Beziehungen“ zu den Muslimen zu haben, soviel Zivilcourage zu, sich vor die Muslime zu stellen.
Man erklärte dann, nach Zusendung des Protokolls dieses Treffens zu prüfen, ob eine gemeinsame Presseerklärung zu dem heutigen Gespräch gemacht werden soll. Weiterhin einigte man sich darüber, die Gespräche fortzuführen und zu institutionalisieren. Es wurde der Vorschlag gemacht, daß Vertreter der Schura und der Jüdischen Gemeinde in regelmäßigen Abständen zusammenkommen.
Frau Noa bedankt sich herzlich bei Henning Scherf und wünscht, dass H. Scherf weiterhin als Moderator in weiteren regelmäßigen Gesprächen mit der Schura dabei sein kann.
Protokollant Hasan Eren
Mitarbeit Dr. Grigori Pantijelew