Stellungnahme Islamrat zur Islamkonferenz 25062009
Stellungnahme des Islamrats zum Zwischen-Resümee der Deutschen Islamkonferenz für das 4. Plenum am 25. Juni 2009 in Berlin
Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland begrüßt grundsätzlich die Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz (DIK) durch das Bundesministerium des Inneren. Mit der DIK ist der Staat in einen längst überfälligen Dialog mit seinen muslimischen Bürgern eingetreten und hat damit ein wichtiges Zeichen gesetzt. So hat der deutsche Staat den institutionellen Grundstein für den Dialog mit den Muslimen geschaffen und gleichzeitig der religiösen Vielfalt in unserem Land Ausdruck verliehen.
Neben dieser grundlegenden Bedeutung für die Integration des Islam und der Muslime in den gesellschaftlichen Kontext der Bundesrepublik kann die DIK durchaus auch auf vielversprechende praktische Empfehlungen verweisen, die den Integrationsprozess positiv befördern können. Dazu gehört die Forderung, den Islam und die Muslime als Teil unverzichtbaren Bestandteil Deutschlands anzuerkennen.
Auch die Empfehlungen bzgl. der Sprachförderung bzw. der Mehrsprachigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund, der Einführung des islamischen Religionsunterrichtes, der gezielten Förderung der interkulturellen Kompetenz von Schulen u.a. durch die Verstärkung des Lehrerkollegiums durch muslimisches Personal und der Förderung kommunaler Projekte sind selbstverständlich begrüßenswert. Darüber hinaus werden im 4. Plenum der DIK jedoch auch einige Schlussberichte und Stellungnahmen der Öffentlichkeit bekannt gegeben, die der Islamrat nicht in ihrer Gesamtheit mitträgt.
In der AG 2 „Religionsfragen im deutschen Verfassungsverständnis“ wurden positive Ergebnisse bezüglich der „Integration in der Schule“, insbesondere bei der Erarbeitung einer Handreichung zum Umgang mit schulpraktischen Fragen erreicht. Auch die Schlussfolgerungen der AG 3 „Wirtschaft und Medien als Brücke“, die vor sich vor allem mit dem Einfluss deutscher und türkischer Medien in die hiesige Integrationsdebatte beschäftigt, ist zu begrüßen.
Nicht getragen werden vom Islamrat jedoch die „Stellungnahme der Muslime der Arbeitsgruppe 1 „Deutsche Gesellschaftsordnung und Wertekonsens“ der Deutschen Islam Konferenz“ und die „Schlussfolgerungen des Gesprächskreises „Sicherheit und Islamismus“.
- Zur „Stellungnahme der Muslime der Arbeitsgruppe 1 „Deutsche Gesellschaftsordnung und Wertekonsens“ der Deutschen Islam Konferenz“
Die sog. „Stellungnahme der Muslime“ als Papier der Muslime
Der Bezeichnung der Stellungnahme folgend, erscheinen die muslimischen Teilnehmer der DIK als Autoren, obwohl der Text in der letzten AG-Sitzung vor dem Plenum seitens der AG-Leitung mit der Maßgabe an die muslimischen Teilnehmer, hierüber einen Konsens zu erzielen, eingebracht wurde. Dies war und ist aus Sicht des Islamrates aus Gründen, die nachfolgend noch einmal aufgeführt werden, nicht möglich.
So ist der vorgelegte Text geprägt von einer durchgehenden Problematisierung der muslimischen Religiosität als integrationshemmend und blendet die von den Vertretern der islamischen Religionsgemeinschaften kontinuierlich vorgebrachte Kritik an Konzeption und Zusammensetzung der AG quasi komplett aus. Des Weiteren kennzeichnet den Text eine auffallende Ausgrenzungsrhetorik und die Ablehnung des Selbstverständnisses der islamischen Organisationen als Religionsgemeinschaften, wohlgemerkt in ihrem „eigenen“ Papier!
Darüber hinaus verengt das Bundesministerium des Inneren das Spektrum möglicher Kooperationen mit den teilnehmenden islamischen Religionsgemeinschaften ausschließlich auf Sicherheitsthemen. Eine weitergehende Kooperation wird nicht vorgesehen. Dabei wurden im Laufe der DIK von den islamischen Religionsgemeinschaften sowohl Forderungen bezüglich der tatsächlichen Integration des Islams und der Muslime und der Zusammenarbeit außerhalb der Sicherheitsthemen aufgestellt, aber auch Angebote zu einem gemeinsamen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Integration gemacht. Sowohl diese Vorschläge als auch die Kritik der islamischen Religionsgemeinschaften an der Arbeitsweise der AG 1 werden ignoriert bzw. in Teilen als innermuslimische Auseinandersetzung dargestellt.
Dass die Rolle der islamischen Religionsgemeinschaften nur in der Sicherheits- und Präventionspolitik gesehen wird, entspricht nicht ihrer Selbstwahrnehmung und ist ein weiteres Manko der gegenwärtigen Integrationspolitik.
Ausgrenzung „nichtdeutscher Muslime“
Neben dieser grundsätzlichen Kritik am „Geist“ des Textes fällt bei einer detaillierten Textanalyse auf, dass das Papier beispielweise von Muslimen in Deutschland nur in Form von „deutschen Muslimen“ spricht. Damit wird der überwältigende Teil der in Deutschland lebenden Muslime durch den deutschen Staat zu „deutschen Muslimen“ erklärt, obwohl gerade mal 1/3 der in Deutschland lebenden Muslime die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Demnach besitzt die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime noch die Staatsbürgerschaft der Herkunftsstaaten. Dies ist nicht zuletzt auch eine Folge der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft, aber auch der bisherigen Integrationspolitik.
Nichtsdestotrotz fühlen sich aktuellen Studien zufolge zwei Drittel der in Deutschland lebenden Muslime als Teil Deutschlands. Aber nicht nur mit Deutschland, sondern auch mit ihrem Herkunftsland identifizieren sich diese Menschen und fühlen sich ihrem Herkunftsland gleichermaßen verbunden. Die meisten Zuwanderer empfinden diese doppelte Verbundenheit als Vorteil und sehen keinen Identitätskonflikt. Drei Viertel von ihnen möchten die Werte und Traditionen aus der Herkunftsgesellschaft mit Werten und Traditionen in Deutschland verbinden. Neben der Identifikation mit Deutschland und dem Herkunftsland spielt auch Europa eine Rolle. Die Verbundenheit mit Europa ist bei Zuwanderern mit 34 Prozent deutlich höher ausgeprägt als bei der Bevölkerung insgesamt (13 Prozent).
Sowohl die Politik als auch die Vertreter der Muslime in Deutschland haben diese Befunde zur Kenntnis zu nehmen und danach zu handeln. Feststellungen, die empirische Studien außer Acht lassen, können weder der Integrationspolitik dienen noch dem Anspruch, die muslimische Basis zu vertreten. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass wir in einem Entwicklungsprozess stehen. Die irreale Trennung zwischen deutschen und nicht-deutschen Muslimen sollte vermieden werden. Das Selbstverständnis der Muslime wird nicht durch eine Außenzuschreibung begünstigt oder beschleunigt. Vielmehr wird die Geschwindigkeit dieser Entwicklung davon abhängen, wie ernsthaft die Integration und Akzeptanz des Islams und der Muslime in der Gesamtgesellschaft vorangetrieben wird. Die Bereitschaft auf staatlicher Seite, dafür konkrete Schritte zu gehen, die islamischen Religionsgemeinschaften ihrem Selbstverständnis entsprechend als Kooperationspartner zu akzeptieren und damit zu einer stärkeren gesellschaftlichen Akzeptanz der Muslime beizutragen, dürfte einen wesentlich positiven Effekt auf die Identifikation mit Deutschland haben.
Problematisierung der Religiosität und Ausblendung der Kritik
Außerordentlich bemerkenswert am vorgelegten Papier ist neben dem bisher dargebrachten, dass gerade die muslimischen „Urheber“ des Textes ausgerechnet die Religiosität von Muslimen als integrationshemmend problematisieren. So wird im Rahmen des Themas schulischer Konflikte dargelegt, dass es besonders „Kinder aus muslimisch geprägten Herkunftsstaaten“ sind, die für Konflikte in der Schule sorgen. Darüber hinaus wird ausgehend von einer Studie behauptet, „dass der Erziehungsstil eines Teils muslimischer Familien autoritärer und die Trennung ebenso wie die Ungleichbehandlung der Geschlechter in muslimischen Familie stärker ausgeprägt sei. Integrationshemmend wirke es sich außerdem aus, wenn das Islamverständnis der Eltern „traditionell“ und auf „Gruppenidentitäten“ bezogen sei. Dabei wird nicht mitgeteilt, um welche Studie es sich handelt und vor allem auch nicht, ob diese vermeintlichen Feststellungen religiös begründet werden oder auch andere Ursachen haben.
Im Übrigen wird in der „Stellungnahme der Muslime“ mit sehr starken negativen Assoziationen bezüglich der religiösen Erziehung von muslimischen Kindern gearbeitet. So wird darauf hingewiesen, dass „religiöse Werterziehung in muslimischen Familien zugleich durch eine vergleichsweise geringere Bildung und schlechtere materielle Stellung der Eltern geprägt sei“. Der Islam und die religiöse Erziehung werden damit nur mit sozial und intellektuell schlechter gestellten Schichten in der Bevölkerung in Beziehung gesetzt.
Zum Thema „Auseinandersetzung über die Vereinbarkeit islamischer Quellen mit dem deutschen Grundgesetz“ sei angemerkt, dass hierüber in der AG keine Auseinandersetzung stattfand. Vielmehr referierte Professor Tilman Nagel in der AG über dieses Thema und erntete dafür heftige Kritik. Der KRM hat diesen Vortrag jedoch in einer Stellungnahme bezüglich seiner Methodik und seines Inhalts bewertet und kritisiert. Das Thema kam danach jedoch nicht mehr auf die Tagesordnung der AG. Stattdessen haben die Debatten über leitkulturelle Orientierungen die Arbeit der AG 1 aufgehalten. Im Ergebnis waren es gerade die islamischen Religionsgemeinschaften, die Forderungen bzgl. leitkultureller Orientierungen und Verwendung unbestimmter Begriffe eine Absage erteilt und auf die Einhaltung der Werte des Grundgesetzes bestanden haben.
Auch im vorgelegten Papier wird mit unbestimmten Begriffen gearbeitet. So stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage beispielweise die „Gesellschaftsordnung“ als verbindlich dargestellt wird. Es ist nicht nachvollziehbar, warum mit der Verwendung dieser Schlagwörter eindeutig bestimmte Begriffe wie Rechtsordnung und Verfassungsordnung relativiert werden, obwohl doch der Konsens der Gesellschaft durch die Rechtsordnung für alle verbindlich dargelegt ist. Warum im Übrigen die Muslime immer wieder in puncto selbstverständliche Regeln menschlichen Zusammenlebens angemahnt werden, bleibt wohl das Geheimnis des Bundesinnenministeriums.
Die Mitglieder des Koordinationsrates der Muslime und im Besonderen der Islamrat haben in zahlreichen Schreiben kritische Stellungnahmen und konstruktive Vorschläge hinsichtlich der Integrations- und Religionspolitik des Staates in der AG 1 eingebracht. In der vorgelegten Stellungnahme ist hierüber leider nichts zu lesen. So wird anlässlich der Schulbesuche im Rahmen der AG 1 zwar den Ansichten der Schulleiter über Gebühr Raum eingeräumt, die „abgesehen von Bildungsfragen“ drei vermeintliche Bereiche zur Vermeidung von Konflikten anführen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass der Islamrat in seiner Stellungnahme vom August 2008 gerade die Defizite im Bereich der „Bildungsfragen“ als die eigentlichen Ursachen für schulische Konflikte identifiziert hatte. Außerdem wird ebenfalls die Verhaltensweise der Lehrer in Konfliktsituationen und der Mangel an interkultureller Kompetenz nicht berücksichtigt.
Während die „Stellungnahme der Muslime“ darauf hinweist, dass in der an den Schulbesuch folgenden Debatte über mögliche „schichtspezifische, traditions-/religionsspezifische Gründe für Wertekonflikte und Integrationsdefizite“ diskutiert wurde, bleibt unerwähnt, dass die islamischen Religionsgemeinschaften die Kulturalisierung dieser Probleme in dieser Debatte abgelehnt haben. In besagter Stellungnahme vom August 2008 wies der Islamrat auf die milieu- und schichtspezifischen Probleme der Kinder hin und zeigte die fehlgehende Verortung dieser Konflikte im religiösen oder kulturellen Bereich auf.
An anderer Stelle wird das Erhöhen des „Bildungsbewusstseins der muslimischen Eltern“ als „staatliche wie auch als Aufgabe muslimischer Verbände…“ definiert. Dabei werden jedoch Herausforderungen und Aufgaben, die sich dem Staat an sich stellen, nicht angeführt.
Zudem wird die Betonung des Rechts auf kulturelle und religiöse Pluralität als Gegensatz zur Forderung nach einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts dargestellt. Ein typischer Ansatz mancher Parteien in der Integrationspolitik, welches sich jedoch nicht überzeugend begründen lässt. Genauso verhält es sich mit der Betonung, die Aktivitäten islamischer Religionsgemeinschaften würden weniger der Integration dienen, als vielmehr den Prozess der Segregation fördern.
Zur Behauptung, die DIK habe den innermuslimischen Dialog gestärkt
In Bezug auf den inner-muslimischen Dialog teilt der Islamrat die dargelegte Auffassung nicht, wonach es erst die DIK gewesen ist, die ein Zusammenkommen von islamischen Religionsgemeinschaften und ihren Kritikern ermöglicht hat. Es ist befremdlich zu behaupten, die DIK hätte zur Stärkung einer demokratischen Streitkultur unter Muslimen in Deutschland beigetragen und damit ein Dialog unter Muslimen entstehen lassen. Vielmehr haben einzelne Teilnehmer wie Frau Kelek die DIK zur Selbstinszenierung instrumentalisiert und so mussten die übrigen Teilnehmer ihren Vergleich des Islams mit Rechtsradikalismus [i], ihre Denunziation von Moscheen an sich als Beton gewordenen Macht- und Eroberungsanspruch des Islams in Deutschland [ii], und ihre Darstellung sog. Ehrenmorde als von der islamischen Religion legitimiert [iii], ertragen. Warum sich das Bundesinnenministerium rühmt, den Rahmen für zumeist fruchtlose Debatten geschaffen zu haben, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die islamischen Religionsgemeinschaften auch vor der DIK intensiv mit ihren Kritikern diskutiert haben. Das Problem dabei war jedoch nicht die vermeintlich fehlende Gesprächsbereitschaft auf Seiten der Religionsgemeinschaften, sondern vielmehr das Fehlen der Kritiker auf Plattformen, die keine mediale Inszenierung versprachen, aber die Möglichkeit für ein offenes und kritisches Gespräch gewährten.
Darüber hinaus zeigt der Diskussionsverlauf in der DIK auf, dass nicht der Wille, einen Dialog zwischen den Muslimen herzustellen, ausschlaggebend für die Besetzung der DIK war. Vielmehr sollte mit der Teilnahme der sogenannten säkularen Muslime der Vertretungsanspruch der islamischen Religionsgemeinschaften relativiert werden. Dabei wird bewusst außer Acht gelassen, dass ein Großteil des individuellen muslimischen Lebens und fast die Gesamtheit des gemeinschaftlichen religiösen Lebens in den Moscheen und damit in den Einrichtungen der Religionsgemeinschaften stattfindet.
- Stellungnahme des Islamrats für die BRD zu den Schlussfolgerungen des Gesprächskreises „Sicherheit und Islamismus“ der DIK
Der Islamrat kann auch die Schlussfolgerungen des Gesprächskreises „Sicherheit und Islamismus“ für das 4. Plenum der Deutschen Islamkonferenz nicht mittragen. Diese „Schlussfolgerungen“ basieren auf einem Präventionsansatz, der Muslime ohne konkreten Anlass als potentiell gefährlich einstuft, um damit, Präventionsmaßnahmen gegenüber allen Muslimen zu rechtfertigen.
Grundsätzliche Annahmen
Angesichts der vermeintlichen Größe der terroristischen Gefahr sieht sich der Staat gezwungen eine Abwägung der Rechtsgüter vorzunehmen. Daher sei eine Präventionspolitik - auch wenn diese erheblich in Grundrechte eingreife - legitim. Diese Präventionslogik bildet die Basis für die Erwartungen des Staates gegenüber den islamischen Religionsgemeinschaften und für seinen Umgang mit Muslimen. Nach dieser Logik werden Einrichtungen islamischer Religionsgemeinschaften als Milieus bzw. Diskurse, die potentielle Gefahr ausstrahlen und vermeintlich Straftäter hervorbringen könnten, vorausgesetzt. Dabei arbeiten die Sicherheitsbehörden mit Vorfeldkonstruktionen und Radikalisierungsszenarien. Die Konturen bleiben aber unbestimmt und abstrakt.
Der Mechanismus orientiert sich an der skizzierten Typologie einer „problematischen“ Gesinnung, dem "Extremisten", dessen Beschreibung und Bekämpfung jedoch auch präventiv erfolgt und sich Konstruktionen bedient. Sowohl die Sicherheitsbehörden im Allgemeinen, als auch die Vertreter der staatlichen Seite führen mit diesem Verständnis die Gespräche im Gesprächskreis. Die von ihnen zugrundegelegten Begrifflichkeiten werden vorausgesetzt, obwohl nicht zuletzt in den Debatten im Gesprächskreis offensichtlich wurde, dass die Definition dieser Begriffe nicht klar und eindeutig ist.
So wird hauptsächlich mit dem Begriff „Islamismus“ gearbeitet. Doch vor allem der mediale Sicherheitsdialog mit dem ZMD und der DITIB zeigt, dass der Begriff sehr abstrakt und extrem vorgelagert verstanden wird. Das Bundesamt für Verfassungsschutz versteht unter diesem Begriff die „Stärkung der eigenen religiösen und kulturellen Identität und die Bewahrung vor einer Assimilation an die deutsche Gesellschaft“ [iv]. Auf Grundlage dieses Verständnisses entfaltet die staatliche Seite Präventionsmaßnahmen, die sich mit der freiheitlichen Demokratie nicht vertragen, destruktiv für die Integration der Muslime sind und Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Muslimen stärken.
Immunisierung vor Extremismus
Die Immunisierung vor Extremismus ist eine wichtige Aufgabe, die aber nur dann funktionieren kann, wenn es tatsächlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird. Extremismus ist in der Gesellschaft präsent und beschränkt sich keineswegs auf eine religiöse Form. Die Stellungnahme sieht jedoch nur in der Immunisierung der muslimischen Gemeinden ein „existenzielles Anliegen“. Die zunehmende Islamophobie und der grassierende Rassismus gegenüber Muslimen wird jedoch erst gar nicht thematisiert. Dabei stellt ein inzwischen nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft die Integration von Muslimen in Deutschland in Frage und lehnt dies teilweise aus rassistischen Gründen kategorisch ab. Im Gesprächskreis finden solche integrationsfeindlichen Entwicklungen jedoch keine Beachtung.
Demgegenüber wird nicht genügend zur Kenntnis genommen, dass schon das Selbstverständnis der an der DIK teilnehmenden islamischen Religionsgemeinschaften, die sich einem Islam des Mittelweges (Vasat Islam) verpflichtet fühlen, immunisierend gegen Extremismus ist. Die Auseinandersetzung mit dem Extremismus findet also aus eigenem Selbstverständnis der islamischen Religionsgemeinschaften statt und bedarf weder einer medialen Inszenierung noch Präventionsmaßnahmen, die sich vornehmlich gegen die Stärkung der islamischen Identität richten. Die Stärkung einer selbstbewussten muslimischen Identität ist die Hauptaufgabe islamischer Religionsgemeinschaften.
Transparenz muslimischer Organisationen in Deutschland
Der allgemeinen Verdachtsrhetorik im Gesprächskreis ist auch die Diskussion um die „Transparenz muslimischer Organisationen in Deutschland“ zu verdanken. Die muslimischen Religionsgemeinschaften sind nicht erst mit der Deutschen Islamkonferenz in einen Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft eingetreten. Schon seit Jahren, gar Jahrzehnten werden im Rahmen des interreligiösen Dialogs Dialogpartner intensiv in Gemeinden und Institutionen eingeladen, Journalisten und Wissenschaftler bekommen tiefe Einblicke in die Arbeit der islamischen Religionsgemeinschaften. Gerade im Angesicht der Fülle all der Publikationen, die in diesem Rahmen entstanden sind, kann nicht von einer Verschlossenheit gesprochen werden.
In diesem Sinne fehlt es der Forderung nach mehr „Transparenz muslimischer Organisationen in Deutschland“ an der Substanz. Diese pflegen nämlich schon seit Jahren eine Offenheit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, wie sie von Kirchen oder anderen nicht-muslimischen Institutionen nicht gefordert wird. Die islamischen Religionsgemeinschaften kommen den rechtlichen Maßgaben wie jede andere Institution selbstverständlich nach. Weitergehende Forderungen entbehren einer rechtlichen Grundlage und führen letztendlich nicht zu einem größeren Verständnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und islamischen Religionsgemeinschaften. Vielmehr wird der Verdacht der unlauteren Arbeit dadurch eher verfestigt.
Konzept „Vertrauensbildende Maßnahmen“
Der Islamrat trägt das zwischen den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, der Ditib und dem ZMD durchgeführte Konzept „Vertrauensbildende Maßnahmen“ nicht. Dabei handelt es sich um einen öffentlichkeitswirksam geführten Dialog zwischen den für den Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung verantwortlichen Dienststellen der Sicherheitsbehörden und den genannten Verbänden.
Entgegen der vorgegebenen Intention, einem Generalverdacht vorzubeugen, verstärken diese Maßnahmen den Verdacht erst und können diese schon dem Konzept nach gar nicht verneinen. Denn sie setzen bei der „Verdächtigung“ an. Die den Sicherheitsbehörden zugewiesenen Aufgaben, der Organisationsrahmen und die Begriffswelt bestimmen diese Prägungen und setzen diese für den sogenannten Dialog voraus. Daher können die Sicherheitsbehörden gar nicht als Vermittler zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft fungieren. So stärken Äußerungen in öffentlichkeitswirksamen Presseerklärungen, wonach „intern zu den Erfolgen der Kooperation die Tatsache [ge]zählt, dass nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden derzeit keine unmittelbare Terrorgefahr aus dem Umfeld von Moscheen und muslimischen Predigern in Deutschland ausgeht“ [v] den Generalverdacht gegenüber Muslimen im Allgemeinen.
Publikationsprojekt „Muslime für Freiheit und Vielfalt“
Der Islamrat beteiligt sich auch nicht an dem Publikationsprojekt „Muslime für Freiheit und Vielfalt“. Die erstmals unter dem Arbeitstitel „Muslime gegen Terror“ im Gesprächskreis in Erscheinung getretene Publikation soll ihrer Zielsetzung nach „Muslime wie Nichtmuslime in Deutschland über den Islam und seine Rolle im Leben der Muslime“ informieren. Dabei soll als Vorbild für diese Publikation das Präventionsprojekt des DFBs gegen Rassismus dienen. Somit wäre dieses Projekt auch das einzige, bei der die DIK ihre Bereitschaft erklärt eine Zusammenarbeit mit den islamischen Religionsgemeinschaften unter Hinnahme ihres Selbstverständnisses einzugehen.
Eine Analogie des Projektes mit dem herangezogenen DFB-Projekt ist schon deshalb nicht gegeben, weil sich der DFB angesichts des immer stärker wachsenden Rassismus in den Fußballstadien gezwungen sah, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Demnach lagen für das Projekt konkrete und feststellbare Ereignisse vor, die als Reaktion eine Anti-Rassismus-Kampagne erforderlich machten. Eine solche Situation liegt jedoch, was den Bezug von Muslimen in Deutschland zum internationalen Terrorismus angeht, nicht vor. Selbst Sicherheitsbehörden sprechen in der Regel nur von einer abstrakten oder einer latenten Gefahr die von „religiös motivierter/begründeter“ Gewalt ausgeht.
Nicht mehr die Abstraktheit der Gefahr findet Beachtung. Vielmehr erscheint der einfache Muslim als ein latent gewaltbereiter Mensch, der mit einigen „richtig gewählten“ Versen oder Predigten schon zur Gewalt angestiftet werden kann. Gewalt und Terror werden somit vor allem als religiöse Probleme verortet. Damit werden jedoch nicht nur die eigentlichen Beweggründe extremistischer Gewalttäter ausgeblendet, sondern auch der Versuch der Vereinnahmung der Religionen durch diese undifferenziert übernommen. Im Ergebnis würde eine Publikation mit solch einer Zielsetzung eher destruktiv wirken und zur weiteren Vertiefung von bestehenden Vorurteilen führen, anstatt diese abzubauen.
Verbot islamistisch-extremistischer Literatur
Auch in diesem Punkt sind die Inhalte von Begriffen wie „islamistisch-extremistisch“ nicht definiert, es ist nicht klar, welche Art von Literatur unter diese Beschreibung fallen soll. Insbesondere fehlt es wieder an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den genannten und weiteren Begriffen.
Im Gesprächskreis erfolgte eine objektiv-wissenschafliche Konkretisierung dieser Begriffe nicht. Dagegen wurde aber über die Erarbeitung einer „Liste islamischer Literatur, die nicht unkommentiert verkauft bzw. weitergegeben werden soll“ diskutiert. Eine solche Liste wurde jedoch vom Islamrat ausdrücklich kritisiert und abgelehnt. Indizes vermeintlich „gefährlicher“ Bücher verfehlen nämlich, oftmals ihre beabsichtigte Wirkung. Sie suggerieren nämlich, dass die Zielgruppe der Indizes der intellektuellen Auseinandersetzung mit Literatur nicht gewachsen ist und von bestimmten Institutionen, ob nun staatlicher oder religiöser Natur, bevormundet werden muss. Darüber hinaus landeten der bereits erwähnten Präventionslogik folgend selbst Bücher angesehener muslimischer Autoren in den angedachten Listen, obwohl den Vertretern des Innenministeriums von Anfang an klar sein musste, dass eine solche Indizierung ohne eine gesetzliche Grundlage nicht möglich ist und sie in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung ihre Berechtigung höchstens noch in Bereichen des gesetzlich geregelten Jugendschutzes haben kann. Von dem Aufbau dieser Liste wurde zwar abgesehen, dennoch hat der grundlegende Gedanke Einzug in die Schlussfolgerungen des Gesprächskreises gehalten.
Quelle: www.islamrat.de