Kritische Gedanken zum Nahostkonflikt aus muslimischer Perspektive

Die offiziellen politischen Verlautbarungen auf Bundes- und Landesebene zu den Bombardements und der Bodenoffensive der israelischen Armee in Gaza mit zehntausenden zivilen Toten sind in ihrer Einseitigkeit und Empathielosigkeit schwer zu ertragen. Trotz massiver internationaler Kritik an Israel und den offiziell eingeleiteten Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu Kriegsverbrechen gegen führende israelische Verantwortliche, ist die Bundes- und Landespolitik von einer kritischen Reflexion der eigenen Standpunkte und Aussagen weit entfernt.

Die berechtigte und notwendige öffentliche Kritik von besorgten Menschen an dem Vorgehen der Netanjahu-Administration in diesem Konflikt, auf Demonstrationen, bei kulturellen Veranstaltungen, oder an den Universitäten, wird regelmäßig in Medien und von politisch Verantwortlichen als Antisemitismus und Israelhass stigmatisiert, und damit im Endeffekt kriminalisiert. Oft geschieht dieses sogar ohne Kenntnis der wirklich getätigten Aussagen und der diesbezüglichen Rechtslage. Es verstärkt sich der Eindruck, dass man sich mit dieser Kriminalisierung tendenziell von demokratischen und verfassungsmäßigen Grundsätzen entfernt. Besorgniserregend und ein gefährliches Verständnis von Gewaltenteilung sind dabei Aufrufe an deutsche Gerichte, doch gefälligst dem politischen Willen bestimmter Politiker/innen besser zu entsprechen. Dabei urteilen die Richterinnen und Richter ja genau auf Basis der deutschen Gesetze, die diese Politiker damit in Frage stellen. Viele Gerichte in Deutschland haben zum Beispiel Slogans für Demonstrationen als eindeutig gesetzeskonform erkannt, die zuvor fälschlicherweise als Straftat behandelt wurden. Die Schura Bremen als Dachverband der islamischen Religionsgemeinschaften im Land Bremen, mahnt dringend, dass man sich in Deutschland auf die großen Werte des Grundgesetzes wie die Gewaltenteilung, vor allem aber die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wieder stärker besinnt.

Nach eigentlich viel zu langem Stillschweigen, bzw. anderslautenden Positionierungen kritisiert nun endlich sogar der Vizekanzler das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg als völkerrechtswidrig, und der Außenbeauftragte der EU stellt treffend fest, dass wir uns zwischen Unterstützung internationaler Institutionen (UN, ISGH) und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, oder aber der bedingungslosen Unterstützung Israels entscheiden müssen. Spätestens jetzt ist es also an der Zeit, sich mit dem Begriff der deutschen Staatsräson kritisch und transparent auseinanderzusetzen. Trotz der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Staat Israel, müssen die Bedingungen und Grenzen der Unterstützung der Netanjahu-Administration und ihrer Vergehen gegen das Völkerrecht offen diskutiert und klar benannt werden. Das internationale Recht gilt es für alle Menschen und Staaten gleichermaßen einzufordern und nicht wegzuschauen. In den letzten Monaten hat die deutsche Politik zu viel an Glaubwürdigkeit und Vertrauen sowohl innerhalb der eigenen Bevölkerung, und nicht nur der muslimischen, als auch in weiten Teilen der Welt verloren.

Hinweis: Der Gastkommentar der Schura Bremen erschien am 15.06.24 in leicht gekürzter Fassung im Bremer Weser-Kurier.

https://www.weser-kurier.de/politik/ausland/krieg-im-gazastreifen-vergehen-muessen-offen-diskutiert-werden-doc7vv4m8diu5djl7dnesb